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IDENTITYTITNEDI | TIM + Stadttheater Augsburg
IDENTITYTITNEDI, Grauwert Nr. 30, Zweifarbiger Siebdruck, schwarz und fluo-grün auf Papier auf Wand, 2015
im Rahmen der Ausstellung "Kunst / Stoff" im TIM Augsburg | Staatliches Textil- und Industriemuseum und im Foyer des Staatstheaters Augsburg.
TIM + Stadttheater Augsburg
Olaf Probst, IdentitytitnedI, Grauwert Nr. 30, 2015
von Dr. Karl Borromäus Murr
Olaf Probst ist ein Meister der Dekonstruktion von Sprache, deren aporetische Paradoxien er schonungslos offenlegt. Aus der Distanz besehen, erscheint das großflächig tapezierte Werk „IdentitytitnedI, Grauwert Nr. 30“ wie ein leuchtend grüner Farbvorhang, der sich in seinem Verlauf von links nach rechts immer stärker in Falten legt. Je näher der Betrachter indes auf diesen Vorhang zugeht, desto ornamentaler schält sich das, was zuvor allenfalls als verwehter Grauschleier sichtbar war, als feine Musterung dieser künstlerischen Arbeit heraus. Aber erst in der Nahsicht offenbart sich die Grundstruktur der Musterung, die sich aus dem vertikal gekippten und zugleich gespiegelten Wort „Identity“ bildet. Mit digitaler Hilfe hat Probst an verschiedenen Stellen die Folge der Buchstaben in Größe und im Abstand zueinander verändert, wodurch sich die Schrift wiederholt vertikal und horizontal verschiebt. An diesen Stellen ergeben sich optische Verwerfungen, Verdichtungen, Rhythmisierungen, Faltungen, die im Ergebnis ein eindrucksvolles Beispiel visueller Poesie bieten. Trotz der in einem binären Schwarz-Grün angelegten Optik dominiert ein relativer Grauwert die Ansicht, die auf einer spezifischen Verteilung von Dunkel-Hell basiert. Mit dieser Beobachtung korrespondiert der gewählte Untertitel der in Rede stehenden Arbeit, die folglich der von Probst seit 1995 geschaffenen Werkgruppe „Grauwerte“ zuzuordnen ist.
Auch wenn die ins Bild gesetzte Buchstabenfolge in ihrer ursprünglichen Wortstruktur (Identity) noch so eingängig erscheint, entzieht der Künstler den von ihm entworfenen Text konsequent einer Lesbarkeit. Trotz ihrer klaren Oberfläche zeugt Probsts Arbeit von einer kapitalen Sprachskepsis, wie sie vor allem der Philosophie des Poststrukturalismus eigen ist. Diese Sprachskepsis, die zu gleichen Teilen eine Erkenntniskritik darstellt, ist genährt von einem radikalen Zweifel an den herkömmlichen Modi zeichenhafter Sinnbildung bzw. Bedeutungszuschreibung. In „IdentitytitnedI“ unternimmt Probst alles Mögliche, um eine allzu eingängige Lektüre der Schrift zu erschweren. Neben die Wiederholung, Vervielfältigung, Reihung, Verschiebung, Verwischung tritt die Spiegelung. Diese läuft der gewohnten Linearität und damit der narrativen Richtung von Sprache diametral zuwider, indem sie sie schlichtweg umkehrt. Zudem entbehrt die im Prinzip endlos angelegte Buchstabenserie sowohl eines distinkten Anfangs als auch eines definierten Endes, weshalb auch ihre Lektüre zu keinem Ende gelangen kann.
Solchermaßen komponiert, verliert das Wort „Identity“ seine sinnbildende Einheit, die für gewöhnlich den essentiellen Bürgen von Identität darstellt. Hierin offenbart sich die paradoxe Strategie eines Kunstwerks, das mittels der Buchstabenfolge „Identity“ genau die Identität der ursprünglichen Worteinheit aufhebt. Mit der Auflösung der Worteinheit vermag der Leser der fraglichen Buchstabenfolge keine Bedeutung mehr abzugewinnen. Denn die Zeichen verweigern ihren Dienst, der doch in der referentiellen Signifikation besteht, nämlich etwas zu bezeichnen. Wie sehr sich der Betrachter auch einen Reim auf „IdentitytitnedI“ machen will, er bleibt unentwegt auf die Signifikanten zurückgeworfen, denen die Signifikate abhanden gekommen sind. Die verbleibenden Zeichen bilden nur noch Indices ihrer selbst. Auch nur von Sinneffekten zu sprechen, versprühte noch zu viel Zuversicht. Der Bund zwischen Sprache und Sinn scheint endgültig aufgekündigt. Wie Jaques Derrida das Wesen der Sprache darin fasst, dass nur noch Zeichen – fern von einer Bedeutung außerhalb ihrer selbst – auf Zeichen deuten, so bietet Probst mit dem diffusen Wortensemble „IdentitytitnedI“ einen unablässigen Verweis auf dieses selbst – demonstrativ zugespitzt in der endlos sich wiederholenden Spiegelung von „Identity“.
Linguistisch betrachtet, versagt sich der Text deshalb einer eindeutigen Dechiffrierung, da seine Zeichen ihren differenziellen Charakter nahezu preisgegeben haben. Derrida hat diese Grunderkenntnis von Ferdinand De Saussure, der die Entstehung von sprachlicher Bedeutung nicht als naturgegeben ansieht, sondern auf arbiträr angelegte Differenzstrukturen der Signifikanten zurückführt, in verschiedenerlei Hinsicht weitergedacht und zugespitzt – eine Radikalität, die Probst offenbar teilt. Mit der tentativen Auflösung von „Identity“ hindert der Münchner Künstler jedenfalls die differenzielle Wahrnehmung einer sinnvollen Zeicheneinheit. Indem die Arbeit „IdentitytitnedI“ die Logik der Differenz auf der Wortebene unterläuft, macht sie auf eine andere, für Probst weit wichtigere, Differenz aufmerksam: nämlich auf ihren Grauwert, wie er sich phänomenologisch zeigt. Denn ein Grauwert bezieht seine jeweilige Bestimmung aus einem differenziellen System von Bildgrund und Schrift, das sich nicht von einer vorgängigen Identität ableitet, sondern aus einer gleichursprünglichen Relation besteht. Mit der vorgängigen Differenz unterliegt auch der mögliche Sinn einer unausgesetzten Aufschiebung, die Derrida sowohl zeitlich wie auch räumlich denkt.
Mit dem Grauwert lenkt Probst unsere Aufmerksamkeit auf die bloße graphische Physis der Zeichen, die zu puren Graphemen werden, ein fraktal-wogendes Grau-Material, ein optisch-oszillierendes Rauschen. „IdentitytitnedI“ visualisiert dieses Rauschen, das jeder Sinnbildung, jeder Identitätsstiftung vorweg geht. Die zum Einsatz gekommenen Zeichen interessieren nur noch in ihrer externalisierten Form, in ihrer entäußerten Morphologie. Sie besetzen in einer gleichsam hypertrophen Invasion eine graphische Fläche. Es bleibt: die reine Materialität der Schrift. Probst macht es uns schwer, dieses graphische Gebilde überhaupt nur zu beschreiben, da die allermeisten Begriffe sofort unter Sinnverdacht fallen. Handelt es sich bei „IdentitytitnedI“ doch eher um einen zufälligen Ausschnitt einer an sich bedeutungslosen Matrix – ein randomisiertes Netzwerk, das über keine sinnvolle Formel über einen möglichen Zusammenhang des Ganzen und seiner Teile mehr verfügt. Mit der endlosen Wiederholung immer derselben Buchstabenfolge probt Probst den „Aufstand der Zeichen“, wie ihn Jean Baudrillard 1978 in „Kool Killer“ propagiert hat. In der demonstrativen Wiederholung sinnentleerter Zeichen hoffte Letzterer auf eine radikale Subversion der Sprache. Probsts Schrift-Pattern folgen jedenfalls keiner inhaltlichen Evidenz, sondern allein einer aleatorischen Logik. Evident ist allenfalls, was aufdringlich zwischen den Zeilen steht: nämlich ein leuchtendes Fluorgrün.
Wer sich mit gebotener Vorsicht doch auf das semantische Feld (zurück-)wagt, kommt nicht umhin, den angebotenen Begriff „Identity“ zu reflektieren. Von der psychologischen Forschung eines Erik H. Erikson ausgehend, hat ‚Identität‘ in den vergangenen Jahrzehnten die Kultur- und Biowissenschaften erobert, um sich schließlich als eine zentrale Formel der Marketing- und Werbesprache zu etablieren. Gerade die kapitalistische Konsumwelt des zur Freiheit verdammten Subjekts scheint zur steten Neuerfindung der eigenen Identität zu zwingen. Das permanente „Self-fashioning“ ist jedenfalls zum Imperativ von endemisch sich ausbreitenden Identitätsbedürfnissen geworden. Philip Gleason hat in „Identifying Identity“ bereits 1983 auf die grassierende Inflation des Begriffs ‚Identität‘ hingewiesen, der mittlerweile aufgehört habe, „die Funktion eines verbalen Zeichens auszuüben“. Insofern brächte Probsts Schriftkunstwerk die erschöpfte Leere eines Begriffs auf den Punkt. Vielleicht lässt sich die in „IdentitytitnedI“ angelegte Spiegelung nicht nur als sinnlose Verdopplung bzw. als formale Tautologie lesen, sondern auch als eine inversive Auslöschung, die die Identität im Moment ihrer Setzung ungeschehen zu machen versucht?
Dieser Vorgang der Auslöschung entspricht jedenfalls dem Grundgedanken der Dekonstruktion, dem sich Probst in einem Zeitalter, dem mit der verloren gegangenen Einheit die identitätsstiftende Praxis von Bedeutungszuschreibung abhanden gekommen ist, zutiefst verpflichtet fühlt. „IdentitytitnedI“ mag von daher als ein ästhetisches Experiment der uneinholbaren Sinnaufschiebung betrachtet werden, die zugleich das unvermeidliche Ende einer selbstgewissen Subjektivität markiert. Augenscheinlich lässt Probst das sich in unausgesetzter Identitätskrise befindliche Subjekt im grauen Dickicht der Zeichen zurück – auf der verzweifelten Suche nach Spuren von Sinn. Wem spendet es dann noch semantischen Trost, wenn der Künstler in sein unendliches Meer bedeutungsloser Zeichen die singulären Worte „History“ oder „Hystery“ einstreut?
Der wie ein Fanal leuchtende Vorhang aus Buchstaben, der sich partout nicht zurückziehen lässt, erfüllt schließlich nur dann seinen Zweck, wenn er nichts mehr verbirgt als sich selbst oder, umgekehrt formuliert, wenn er als reine Immanenz des Außen nur noch sich selbst bedeutet. Glücklich derjenige, der die Poesie des raffinierten Faltenwurfs vernimmt, der sich an der Lyrik des so variantenreichen Spiels der Oberfläche erfreut, an der allein sich die Welt genügt.
Dr. Karl Borromäus Murr, 31. März 2015
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